Wo leben sie?

Einst bevölkerten sie ganz Indien: die Adivasi (Bewohner von Anfang an), so nennen sie sich selbst. Im Zuge von Völkerwanderungen wurden sie immer mehr in den Süden Indiens abgedrängt. Sie bewohnten die Wälder, die damals noch den ganzen Subkontinent dicht bedeckten. Sie lebten von allem, was die Wälder hergaben.

Heute sind diese zu einem großen Teil zerstört. Der Lebensraum der Ureinwohner wurde eingeengt. Die vorherrschende Kultur des Hinduismus sowie Einflüsse der modernen Welt haben Einzug gefunden. Von westlichen Gujarat quer über Zentralindien bis hin zum Himalaja erstreckt sich heute der sogenannte Ureinwohner-Gürtel. Hier lebt noch eine Vielzahl von Ureinwohner-Stämmen.

Welche Bräuche pflegen sie?

Die Bräuche und Riten, das Leben und der Glaube der Ureinwohner waren und sind den Gesetzen der Natur unterworfen. Freude und Leid, Leben und Tod fügen sich ein in den Lauf der Dinge.

Ein traditioneller Zauberpriester und Heiler ist auch heute noch in der Gesellschaft der Ureinwohner von großer Bedeutung. Er verfügt über magische Kräfte, die Leben geben und nehmen können. Faszinierend sind ihre Tänze, getragen von Lebensfreude, begleitet von Trommelrhythmen. In ihren Gemeinschaftstänzen erleben die Adivasi sich als starke Gemeinschaft, als Teil der sie umgebenden Natur.

Wie sind sie organisiert?

Die Stämme organisieren sich in ihrem Gemeinwesen weitestgehend selbst. Im Bistum Jabalpur leben 5 Stämme: Ahiv, Baigha, Dhoba, Gand, Panka. In allem sind sie fest in der Natur verwurzelt.

Was besitzen sie?

Die meisten haben wenig oder gar kein anbaufähiges Land. Was immer sie besitzen, wird unter die Kinder aufgeteilt. Oft kämpfen sie um das nackte Überleben. Seit Generationen werden sie immer wieder Opfer skrupelloser Ausbeutung. Manche „Kredithaie“ verstehen sich darauf, sie in Zeiten der Dürre hereinzulegen. Am Schluß steht oft ein unüberwindlicher Berg von Schulden oder der Verlust von Feldern und Vieh.

Welche Zukunft haben sie?

Anbauflächen werden knapper, Vieh und Felder gehen verloren, Wälder werden durch eigennützige Holzfirmen zerstört – viele Ureinwohner sehen keine Hoffnung mehr in den Dörfern. Sie wandern ab in andere Gegenden und in die Städte; dort hoffen sie auf ein besseres Leben.

Häufig finden sie nur schlecht bezahlte Arbeit im Straßenbau oder als Tagelöhner. Ihre Kinder gehen oft nicht regelmäßig in die Schule.
Daher setzt der BGD im Bildungsbereich an, um ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

Welche Aufgaben stellt sich das Bistum Jabalpur?

Seit mehreren Jahrzehnten haben die Ureinwohner in der katholischen Kirche, so auch im Bistum Jabalpur, eine Verbündete im Bemühen um bessere Lebensbedingungen gefunden. Schwerpunkte der Hilfe sind: Gesundheitsvorsorge von der Dorfgesundheitshelferin bis zum 180-Betten-Krankenhaus, Bildungsmaßnahmen, vom Kindergarten bis zum Internat für angehende „Abiturienten“, Förderung der Eigenständigkeit von der Mütter-Runde im abgelegensten Dorf bis zur Versammlung der Dorf-Ältesten einer Region. So ist die Kirche zum Ansprechpartner, zum Verbündeten der Ureinwohner geworden.

Was geschieht in der Land- und Forstwirtschaft?

Zahlreiche Projekte zum Bau von Brunnen und Bewässerungeinrichtungen, zur Bodenterrassierung, zur Aufforstung, zur Förderung von Molkereikooperationen, zur Beschaffung von Ochsen, Saatgut und Düngemitteln wurden erfolgreich durchgeführt.

Weitere Schwerpunkte der Arbeit sind die Ausbildung von Führungskräften auf Dorfebene und die Organisation von Dorfkomitees zur Gemeinwesenentwicklung. Die Dorfgemeinschaften sollen von innen heraus gestärkt werden und sich politisch selbst vertreten können durch Personen, die aus ihrer Mitte stammen.

Wie sieht die medizinische Versorgung aus?

In ganz Indien steht heute ein Arzt für 5000 Menschen zur Verfügung. In den von den Ureinwohnern bewohnten Gebieten jedoch muß ein Arzt 30.000 Menschen versorgen. Darum fördert der BGD die Ausbildung von Dorfgesundheitshelferinnen und die Einrichtung von Gesundheitszentren.

Die Dorfgesundheitshelferinnen – erfahrene Frauen aus den Dörfern – beraten in Fragen der Gesundheitsvorbeugung und sind in der Lage, die häufig vorkommenden Krankheiten zu erkennen und mit einfachen, in Indien selbst hergestellten Medikamenten zu bekämpfen.

Was leisten Dorfgesundheitshelfer?

Die Aufgaben von Dorfgesundheitshelfern sind unter anderem: Betreuung von Schwangeren, Neugeborenen, Kleinkindern und Kindern bis zum Alter von fünf Jahren. Durch ihr Vorbild und ihre Arbeit leiten sie zu einem größeren Gesundheitsbewußtsein an. Sie verbreiten praktisches medizinisches Grundwissen für eine bessere Gesundheitsvorsorge.

Nicht mehr lange dürfte „Gesundheit“ an 13. Stelle auf der Wunschliste der indischen Ureinwohner stehen.

Wie gesund essen die Ureinwohner?

Insgesamt ist die Nahrung der Ureinwohner ungesünder geworden. Das hat natürlich gesundheitliche Folgen. Die im Wald gesammelten Lebensmittel waren reich an Proteinen und Vitaminen; heute müssen häufig minderwertige und überteuerte Lebensmittel gekauft werden.

Dazu kommt ihre finanziell schlechte Lage, die sie hindert, ausreichend Lebensmittel zu kaufen.

Wie wird den Wanderarbeiter-Kindern geholfen?

Viele Ureinwohner sind als Wanderarbeiter im Straßenbau oder als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft beschäftigt. Um ihren Kindern soliden und beständigen Schulunterricht zu ermöglichen, wurden Internate für Jungen und Mädchen eingerichtet.

Lehrerinnen und Lehrer an kirchlichen Schulen sind besser motiviert und bauen ein persönliches Verhältnis zu den Schülern auf.

Wurden die Ureinwohner krankheitsanfälliger?

Ja. Durch die Veränderung ihres Umfelds wurden die Ureinwohner für viele ihnen vorher unbekannte Krankheiten anfällig, zum Beispiel Infektionskrankheiten und Zahnprobleme. Traditionell waren die Ureinwohner fähig, Krankheiten mit Hilfe von Kräutern, Blättern, Wurzeln, Pflanzenextrakten, die im Wald zu finden waren, zu heilen.

Der Staat forstet zumeist Wald-Monokulturen für die Industrie auf. In diesen Wäldern finden die Ureinwohner nicht mehr die Pflanzenvielfalt vor, die für die Herstellung von Medikamenten notwendig ist. Sie sind nun auf industriell hergestellte Medikamente angewiesen, für die ihnen oft das Geld fehlt. Weite Wege zu Gesundheitszentren halten sie außerdem von einer Behandlung ab.

Wie groß sind die ökologischen Probleme?

Die ökologischen Probleme lassen sich erst lösen, wenn die ökonomische
Situation sich gebessert hat: Konkurrenzkampf und Profitinteresse sind
deren Kennzeichen. Kein Aufforstungsprogramm kann erfolgreich sein,
solange die Abholzung schneller vorangeht als das Wachstum der Bäume.

Wenn den Ureinwohnern die Lebensgrundlagen entzogen werden, bleibt ihnen nur der Hungertod oder die Flucht in die Städte. Dort vermehren sie die Kriminalisierung und vergrößern die Slums. Die großflächige
Waldabholzung hat ferner verheerende Folgen für die Ökologie: die
beschleunigte Auswaschung der Erde führt zu einem Verlust an
Oberflächenerde. Wertvoller Waldboden lagert sich in den Flüssen ab; die
Wiederaufforstung ist kaum noch möglich.

Wie wirkt das Moderne bei den Ureinwohnern?

Während einige Stämme heftigen Widerstand gegen den gewaltsamen Einbruch von moderner Ökonomie und Hindu-Kultur leisten, sind die meisten hin- und hergerissen zwischen der Moderne, in der Wohlstand und Glück käuflich scheinen, und der Bindung an ihren alten Lebensraum: Wald, Land und eigene Kultur. Dabei orientieren sich die Männer meist mehr an Geld und Konsum als ihre Frauen.

Welche Rolle haben die Frauen der Ureinwohner?

Noch immer gelten die Frauen (gleichwertig neben den Männern oder gar hauptverantwortlich) als Ernährerinnen der Familie. Doch liegen ihre Löhne trotz meist gleicher Arbeit unter denen der Männer. In vielen Regionen verkaufen die Frauen mühsam gesammeltes Feuerholz.

Ihre Verdienstspanne sinkt ständig, weil die Wege, die sie dafür zurücklegen müssen, immer länger werden. Sowohl in der indischen Öffentlichkeit als auch in der internationalen Diskussion über Umweltzerstörung werden sie dafür als Verursacher der Abholzung gebrandmarkt: Die Opfer werden zu Schuldigen erklärt.

Wie sieht die berufliche Förderung aus?

In Orientierungskursen und Praktika erhalten die Schüler auch eine Basisausbildung in kaufmännischen Fächern. In dieser praxisorientierten Ausbildung bekommen die jungen Menschen technisches Wissen vermittelt und eignen sich praktische Fähigkeiten an.

Das Ziel ist, den Ureinwohnern die grundlegenden Rechte auf Wissen, Bildung und Ausbildung zu geben.

Wie viele Ureinwohner gibt es in Indien?

Rund 70 Millionen Inder zählen zu den Ureinwohnern und gehören damit zu den benachteiligten Bevölkerungsgruppen des Landes. Obwohl sie durch Vertreibung, Diskriminierung und Kulturzerstörung akut bedroht sind, ist ihre Existenz kaum bekannt.

Daher haben sich verschiedene europäische Organisationen der Menschenrechts- und Entwicklungsarbeit 1993 zu einer „Adivasi-Kampagne“ für die Rechte der indischen Ureinwohner zusammengeschlossen.

Was können wir von den Ureinwohnern lernen?

Faires gegenseitiges Geben und Nehmen ist das Gebot der Stunde. Genau so nötig wie Entwicklungsimpulse von außen benötigen die Ureinwohner heute ein Bewußtsein davon, dass auch sie der Welt etwas zu geben haben. In einzigartiger Weise stellen sie eine Kultur voll innerer Harmonie dar, eine Kultur, die zeichenhaft in Tanz und Gesang auf die Solidarität hinweist, die zwischen allen Menschen dieser Welt bestehen könnte…

Was brennt ihnen unter den Nägeln?

Schrei einer Ureinwohnerin

Ich möchte ein Zuhause für mich, nicht eine schöne Stadt; ich möchte erkennen, mir bewußt werden, lesen und schreiben können, nicht den Bau eines Colleges für die Elite. Ich möchte eine respektierte Arbeit verrichten, nicht eine von der Statistik erfaßte Arbeitslose sein; ich möchte Nahrung auf meinem Teller, nicht eine Debatte über Landreform. Ich bin gebildet, obwohl Analphabetin, weise, obwohl unbeachtet, mächtig, obwohl gesellschaftlich verunstaltet, und ich bin dir gleich.

M.M. Kumar, Indien